2000 Helfer waren acht Stunden im Einsatz Expertenkommission sparte nicht mit Kritik

Ziegelei in Lauda »Unglücksort« / Wertheimer Feuerwehr bewährte sich / Sinn der Übung verteidigt

Main-Tauber-Kreis. »Ziegelei in Lauda durch abgestürzten Hub­schrauber beschädigt und eingestürzt, dann infolge einer Explosion in Brand geraten. Zwanzig bis dreißig Verschüttete zu bergen.« Katastrophenmeldungen dieser Art schwirrten am Samstag im Rahmen der Katastrophenschutzübung »Schlauer Fuchs« des Regierungspräsidiums Stuttgart in großer Zahl über den Äther. Geprobt wurde hier wie in den Landkreisen Hohenlohe und Schwäbisch Hall die Zusammenarbeit aller am Katastrophenschutz beteiligten Behörden und Hilfsorganisationen sowie die Bewältigung von Großschadensereignissen. Drei Schadensfälle an verschiedenen Stellen innerhalb des Main-Tauber-Kreises hielten rund 2000 Helfer mehr als acht Stunden in Aufregung. Die vom Regierungspräsidium in Stuttgart initiierte Übung wurde von unabhängigen Schiedsrichtern immer wieder beeinflußt, so daß neue Problemstellungen kurz­fristig von den Rettungsmannschaften gelöst werden mußten. Ein Rat von Sachverständigen beobachtete die Übungen, stellte Mängel und Fehler heraus und schlug Verbesserungen für die Zukunft vor.

Die Rahmenbedingungen der Übung waren durch das Regierungspräsidium Stuttgart vor­gegeben worden. Es sah als allgemeine Kata­strophenlage »orkanartige Stürme über Baden-Württemberg« vor, die »Straßen- und Schienenverkehr weitgehend unterbrochen und Wohngebiete unter Wasser gesetzt« hät­ten. Die in Alarmbereitschaft versetzten Katastrophenschutzeinheiten mußten in Tauberbischofsheim um 8.15 Uhr zum ersten Mal ausrücken. Im Bereich der Gerätehalle auch dem Bahnhofsgelände von Tauberbischofsheim sei durch äußere Umstände »ein Personenzug entgleist und ein unmittelbar benachbart abge­stellter Güterwagen in Brand geraten«, hieß die fiktive Schadensmeldung. Bergungs­dienst, Brandschutzdienst, Sanitätsdienst, In­standsetzungsdienste, Fernmelde- und Ver­sorgungstruppen wurden vom Krisenstab im Tauberbischofsheimer Landratsamt zum Un­glücksort geschickt. Die Aufgabe bestand dar­in, unter Emstfallähnlichen Bedingungen Verletzte aus den Trümmern zu bergen, vor Ort ärztlich zu versorgen und auf die Kranken­häuser der Umgebung gemäß deren Aufnah­mekapazität zu verteilen. Der brennende Gü­terwagen sollte gelöscht, ein in der Nähe ste­hender, beladener Kesselwagen vor Hitzeein­wirkung abgeschirmt werden.

Expertenrunde diskutierte über Konzept und Mängel

Während viele der freiwilligen Mitarbeiter von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk oder dem Deutschen Roten Kreuz bei naßkalten Witterungsverhältnissen diese Aufgaben zu lösen versuchten, traf sich im Landratsamt eine Expertenrunde von Institutionen der Großschadensbekämpfung, um über Konzep­te des Katastrophenschutzes und die Mängel bei Übungen dieser Art zu diskutieren. Neben den am Unglücksort arbeitenden Organisatio­nen waren unter anderem auch die Bundes­wehr, die Ärztekammer, die amerikanischen Streitkräfte und der Malteser Hilfsdienst an­wesend und wurden von Regierungsrat Schö­fer, dem Pressereferent und ehemaligen Kata­strophenschutzbeauftragten des Regierungs­präsidenten Stuttgart, Dietrich Moser von Fil­seck, sowie dem stellvertretenden Regie­rungspräsidenten Frank mit dem Ablauf der Übung und der Organisation der Hilfskräfte im Katastrophenfall vertraut gemacht.

Die Organisation der Katastrophenschutz­einrichtungen im Main-Tauber-Kreis stellte Regierungsrat Schöfer vor. Im Falle eines »Großschadensereignisses« tritt im Landrats­amt ein Krisenstab zusammen, der, vom sogenannten Hauptverwaltungsbeamten (HB V) ge­leitet, die Technische Einsatzleitung (TEL) am Ort des Geschehens aus der Feme steuert, die wiederum die Aktionen der einzelnen Hilfsverbände koordiniert. Der Krisenstab besteht aus vier Abteilungen und wird von Fachberatern und einer Fernmeldetruppe in seiner Arbeit unterstützt. Komplikationen in der Schadensbekämpfung oder Probleme aller Art werden über vier Kommunikationssyste­me an den Stab geleitet, der seine Entschei­dungen an die Einsatzleitung vor Ort zurück­reicht.

Schöfer: Kein Selbstzweck

Schöfer wehrte sich gegen den Vorwurf, Übungen zum Selbstzweck zu organisieren. Zeitnah könnten vielmehr Problemstellungen aufgezeigt und bewältigt, das Zusammenwir­ken der Kräfte geprobt werden. Verschiedent­lich geäußerte Kritik bezüglich der fehlenden Nähe zur Realität von Manövern dieser Art wollten sowohl Schöfer als auch der stellver­tretende Regierungspräsident Frank nicht gel­ten lassen.

Der langjährige Chefarzt des Kreiskranken­hauses in Tauberbischofsheim und Vertreter der Landesärztekammer, Dr. Ranft, listete Mängel der Übung in der medizinischen Ver­sorgung geborgener Verletzter auf. Kapazi­tätserweiterungen von Krankenhäusern gin­gen von utopischen Aufnahmemöglichkeiten der Anstalten aus; im Planungsstab sei kein Mediziner vertreten; die Zahl von insgesamt 90 Verletzten bei allen drei Übungen des Tages entspräche nicht einer wirklichen Katastro­phe, bei der wesentlich mehr Verwundete zu erwarten seien. Durch diese Übung wird lediglich die Bergung der Verletzten geprobt, die Weiterversorgung jedoch sträflich ver­nachlässigt.

Die Expertenkommission hatte dann die Möglichkeit, sich von der Arbeit des Krisen­stabes im Landratsamt unter der Leitung des HVB Jörg Hasenbusch zu überzeugen. Hasen­busch stellte die vier Arbeitsbereiche »Perso­nal und innerer Dienst« unter der Leitung von Alois Schinzel, »Lageerfassung« unter Sozial­amtsleiter Krimm, »Einsatz der Kräfte«, gelei­tet vom Amtsleiter Umweltschutz Helmuth. sowie »Verpflegung und Spritnachschub« un­ter der Koordination von Dieter Rüdenauei vor. Unterstützt wird die Arbeit der Abteilun­gen durch den Femmeldedienst, dessen Leiter Peter Bernhardt die Möglichkeiten von Tele­fon, Funk, Telefax und Telex für unmittelba­ren Kontakt und ständige Kommunikation mit dem Ort des Geschehens herausstelle.

Im Einsatzfalle werden über die Fernmeldezentrale sämtliche Informationen, Lagemel­dungen, Aufträge, Befehle von der Katastro­pheneinsatzleitung zu den Einheiten vor Ort Und umgekehrt abgewickelt. Eingehende Nachrichten werden durch den »Sichter« Hart an die zuständigen Sachbearbeiter weiterge­leitet. Hasenbusch wies auch auf die beengte Raumsituation des Landratsamtes hin. Koor­dination und Informationsaustausch wurden dadurch erschwert, daß verschiedene Räume zur Unterbringung des Krisenstabes belegt werden müßten.

In Fällen länger andauernder Katastro­pheneinsätze wechseln sich zwei identisch konzipierte Krisenstäbe ab. Wichtig in der Arbeit der obersten Krisenleitung ist zusätz­lich die Verbindung zur Öffentlichkeit, die im Katastrophenfall über die Presse durch Presse­referent Schöfer über die notwendigen Maß­nahmen informiert wird.

Zweite Unglücksmeldung

Noch während die Sachverständigen die Ar­beit des Stabes untersuchten, traf die Meldung des zweiten Unglücks ein: Die Ziegelei in Lauda, durch einen abgestürzten Kampfhub­schrauber beschädigt und in Brand geraten, stürzte teilweise ein und verschüttete mehrere Personen. Sofort liefen die Telephone und Drähte zum Katastrophenort heiß, wurden Zustandsmeldungen und Befehle ausge­tauscht. Die Expertenkommission verließ in­dessen das trockene Hauptquartier der Kri­senleitung und begab sich an Ort des Unglückes. Dort hatte man seit der Unglücksmeldung an die Zentrale ein Verwundetenzelt aufge­baut, begann mit der Bekämpfung des imagi­nären Feuers und suchte mit Hilfe einer Hun­destaffel und des Technischen Hilfswerkes nach Verschütteten.

Auch an der Katastrophenstelle hatte sich ein Krisenstab zusammengesetzt, halfen Fach­berater und Abteilungsleiter bei der Entschei­dungsfindung. Als Technischer Leiter vor Ort (TEL) fungierte Kreisbrandmeister Willy Schäffner. Eine erste Auswertung dieser Übungssituation in Laudas folgte, als die Ex­perten ihren Bus wieder erklommen hatten: Es sei zu wenig zusammengearbeitet worden; die Führung sei nicht einheitlich gewesen; ein Schadensfall dieser Art hätte auch mit weniger Personal bewerkstelligt werden können und das Ganze hätte sowieso viel zu lange gedau­ert. Auch der Dokumentationswille jeder ein­zelnen Einsatzgruppe, die mit Foto- und Ka­meraausrüstung ihren Beitrag zum Gelingen des Manövers festhalten wollten, stimmte manchen nachdenklich über Sinn und Zweck der Übung.

Wertheimer Feuerwehr präsentierte sich in bester Verfassung

Ein anderes Bild bot sich dann den Katastro­phenfachleuten am dritten Unglücksort. In der Zipfbrauerei in Tauberbischofsheim war nach einer Explosion Ammoniak ausgetreten und das Brauereigebäude eingestürzt. Auch hier galt es Verletzte zu bergen und einer ärztlichen Erstversorgung zuzuführen.

Ein Chemikalienwagen der Feuerwehr Wertheim hatte nach der Feststellung des Ammoniakaustrittes scharfe Maßnahme erforder­lich gemacht. Anders als in Lauda waren in Tauberbischofsheim alle Helfer geschäftig, hatten die Feuerwehrleute aus Wertheim ih­ren Kollegen aus Weikersheim offensichtlich schon manche Übung voraus und war die Stabsleitung in einem eigens aufgerichteten Zelt untergebracht. Doch auch an dieser Stelle gab es manchen Grund zur Klage. So wurde der Plan kritisiert, mit Hunden nach Verletz­ten zu suchen, was angesichts eines Ammoniakaustritts unmöglich gewesen wäre. Auch bei der Bergung der Verletzten wurden schwerwiegende Mängel festgestellt.

Zurückgekehrt ins Landratsamt hielt die Expertenkommission Manöverkritik unter der Leitung des Landrates des Main-Tauber- Kreises, Georg Denzer. Der Landrat lobte den Einsatzwillen aller Helfer, auch wenn nicht alles so gelaufen sei, wie es sollte. Er sah ein wesentliches Problem bei der Katastrophen­bewältigung in der kompletten Organisations­situation im Falle eines Schadensfalles. Den­zer wünschte sich für die Zukunft während einer der großen Manöver der Streitkräfte eine Katastrophenübung, die für diesen Kreis wich­tig sei. Einen Bedarf an Probestunden erkann­te er auch für den Führungsstab. Die Übung habe gezeigt, daß die Hilfskräfte vor Ort ihre Technik beherrschten, die Koordination aber noch zu wünschen übrig ließe.

17.10.1988