Gütermotorschiff aus Rotterdam ist samt der Zementfracht bei Wertheim gesunken
Wertheim. Das mit 525 Tonnen Zement beladene Gütermotorschiff »Marinus F« aus Rotterdam ist gestern Vormittag unterhalb der Wertheimer Mainbrücke nach einer Havarie gesunken. Das 55 Meter lange Schiff, das vom Karlstadter Zementwerk kommend talwärts fuhr und außer dem Schiffsführer nur noch einen Matrosen an Bord hatte, war gegen 10 Uhr mit dem aus Lauenburg an der Elbe stammenden Tankmotorschiff »Wilfried B« kollidiert. Die Schifffahrt auf dem Main war bis 16 Uhr völlig blockiert und wurde danach nur bis Einbruch der Dunkelheit für den einschiffigen Verkehr freigegeben. Als Unfallursache wird ein Navigationsfehler vermutet.
Die mit 776 Tonnen schwerem Heizöl beladene »Wilfried« wurde nur leicht beschädigt und konnte ihre Fahrt aus eigener Kraft fortsetzen. Die langwierige Bergung der total beschädigten »Marinus«, deren Wert nach ersten Schätzungen mit 300000 Mark angegeben wurde, dauerte unter Aufsicht von Havariekommissar Werner Bauer aus Wörth bis in die Nachtstunden an. Schwimmbagger schafften die Zementfracht, die im Wasser steinhart wurde, ans Ufer. Ein Baggerschiff des Wasser- und Schifffahrtsamtes Aschaffenburg hatte in unmittelbarer Nähe der Unglücksstelle gelegen und konnte schnell eingesetzt werden. Eine Sprengung der 525 Tonnen schweren Zementfracht wäre nach Meinung von Fachleuten sonst nicht zu vermeiden gewesen.
Das zunächst befürchtete große Fischsterben blieb angeblich aus. Experten hatten kurz nach der Havarie nicht ausgeschlossen, dass aus der Verbindung von Zement mit Wasser für Fische tödliches Ammoniak entsteht. So aber blieb es nach Aussagen der Behördenvertreter bei einer Erhöhung des PH-Wertes im Main, deren Folgen jedoch durch das leichte Hochwasser gemildert wurden. Der sich an der Unglücksstelle auf dem Main bildende Ölteppich konnte von der Feuerwehr mit einer Ölsperre am Abtreiben gehindert werden.
Ein Taucher wollte noch gestern in den Abendstunden das Leck untersuchen. Erst danach sollte entschieden werden, ob die »Marinus« von einem Hebeschiff geborgen werden kann oder zerschnitten werden muss. Vermutlich hatte der an der Steuerbordseite des Bugs der Wilfried angebrachte Anker den Rumpf des holländischen Schiffs aufgerissen, das bereits wenige Minuten nach der Havarie sank. Personen kamen nicht zu Schaden.
Wertheimer Zeitung 20.2.1987
548-Tonnen-Schiff voll Zement nach Havarie im Main gesunken
Gütermotorschiff aus Rotterdam stieß an der Mainbrücke bei Wertheim mit Tanker zusammen - Schaden an die 300000 Mark
Wertheim. Das 548 Tonnen große und 55 Meter lange Gütermotor-Schiff »Marinus F« aus Rotterdam ist gestern Vormittag wenige Minuten nach einer Havarie mit dem deutschen Tankmotorschiff »Wilfried B« gesunken. Die Kollision der beiden Schiffe ereignete sich gegen 10 Uhr in Höhe der Mainbrücke bei Wertheim. Der Schiffsführer des leckgeschlagenen holländischen Frachters, der in Karlstadt 525 Tonnen Zement geladen hatte und talwärts fuhr, konnte die Marinus gerade noch auf Wertheimer Seite Richtung Ufer steuern, bevor es in den eisigen Fluten versank. Das bergwärts fahrende Tankmotorschiff »Wilfried» aus Lauenburg an der Elbe wurde vergleichsweise leicht beschädigt und konnte seine Fahrt aus eigener Kraft fortsetzen. Bei der Havarie riss vermutlich der Anker der »Wilfried« auf der Steuerbordseite des Bugs ein großes Loch in den Rumpf des entgegenkommenden Schiffs. Lediglich ein Matrose soll leichte Verletzungen erlitten haben. Der an der »Marinus» entstandene Totalschaden wurde gestern nach ersten groben Schätzungen auf rund 300000 Mark beziffert. Die Bergungsarbeiten dauerten gestern Abend ebenso an wie die Ermittlungen der Wasserschutzpolizei Lohr.
In Alarmbereitschaft befanden sich kurz nach dem Unglück die Experten der zuständigen Dienststellen: Zunächst hatte es nur geheißen, dass ein mit Chemikalien beladenes Schiff bei Wertheim gesunken sei. Deshalb traf auch ein Beamter von der Fachdienststelle Nürnberg der bayerischen Wasserschutzpolizei ein. Unklar war zunächst auch, ob die Zementladung der Marinus ein größeres Fischsterben auslösen würde: Es waren Befürchtungen laut geworden, dass der Zement durch die PH-Wert-Verschiebung in den alkalischen Bereich Ammoniak bilden könnte.
»Keine Gefahr für Umwelt«
Fachleute vor Ort versicherten jedoch nach kurzer Zeit, dass keine Gefahr für die Umwelt bestehe. Dennoch drängte die Zeit, da die 525 Tonnen Zement im Rumpf des gesunkenen Schiffs, dessen Führerhaus gerade noch aus dem Wasser ragte, zu verhärten drohten. Dies hätte die Bergung des Gütermotorschiffs schier unmöglich gemacht. Als glücklichen Umstand bezeichnete es deshalb Havariekommissar Werner Bauer aus Wörth am Main, dass ein Schwimmbagger des Wasser- und Schifffahrtsamtes Aschaffenburg stromaufwärts bei Eichel lag und rasch an die Unglücksstelle beordert werden konnte. Ein weiteres Motorschiff war nötig, um die Zement-Fracht aufzunehmen und ans gegenüberliegende Mainufer bei Kreuzwertheim zu transportieren.
Hätte der Schwimmbagger eigens von Aschaffenburg angefordert werden müssen, wäre wertvolle Zeit verstrichen: Um das Schiff bergen zu können, hätte der im Wasser steinhart werdende Zement dann eventuell gesprengt werden müssen, beschrieben Fachleute die Situation.
Tanks blieben dicht
So konnten sich die 15 Leute der Freiwilligen Feuerwehr unter Leitung von Stadtkommandant Wilhelm Weber darauf beschränken, das Schiff gegen das Abtreiben zu sichern und eine Ölsperre zu errichten. Da die Versorgungstanks der »Marinus» heil geblieben waren , brauchte das Dieselöl nicht abgepumpt zu werden. Die Hilfsmannschaften bemühten sich, das Öl/Wasser-Gemisch aus dem Maschinenraum aufzufangen. Dazu wurde aus Tauberbischofsheim der Öl-Sanimat angefordert. Kreisbrandmeister Willy Schäffner (Tauberbischofsheim) informierte sich vor Ort über den Stand der Bergungsarbeiten.
Die Auswirkungen des Schiffsunglücks auf die Umwelt begutachteten Peter Helmuth, Leiter des Umweltamtes beim Landratsamt Tauberbischofsheim, und Regierungsbaurat Hartmut Rath von der Abteilung Industrieüberwachung beim Wasserwirtschaftsamt Künzelsau. Beide Behördenvertreter sahen keinen Anlass, besondere Maßnahmen zü ergreifen.
Das kurz nach der Havarie alarmierte Rote Kreuz brauchte nicht einzugreifen, da lediglich ein Matrose geringfügige Verletzungen erlitten hatte. Das Technische Hilfswerk mit Ortsbeauftragtem Anton Jeßberger und Zugführer Manfred Brell sicherte das Schiff zusätzlich mit Tauen und Greifzügen vor dem Abtreiben.
Fachleute: Kein Fischsterben
Auch wenn Experten an der Unglücksstelle Gefahren für die Umwelt ausschlossen, zeigten sich Fachleute erleichtert über den leichten Hochwasserstand des Mains: Die durch den Zement verursachte Erhöhung des PH-Wertes, die einen für Fische tödlichen Sauerstoffmangel bewirken kann, hatte dadurch nicht die üblichen Folgen.
Das aus Lauenburg an der Elbe stammende, 67 Meter lange und 933 Tonnen große Tankmotorschiff »Wilfried B«, das 776 Tonnen schweres Heizöl geladen hatte und bergwärts fuhr, konnte in Höhe der Mainbrücke am Ufer festmachen. Obwohl auf der Steuerbordseite des Bugs von der Havarie der Anker abgerissen und leichte Beschädigungen am Rumpf erkennbar waren, bestand für die Ladung keine Gefahr. Fachleute versicherten, dass schweres Heizöl selbst bei einer Leckage nicht auslaufen würde, da die Fließfähigkeit des Öl bei niedrigen Temperaturen begrenzt ist. So muss das Öl beispielsweise beim Löschen erst erhitzt werden.
Die Wertheimer Stadtverwaltung unterstützte die Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit und versorgte die bei klirrender Kälte arbeitenden Helfer und Schiffsbesatzungen mit heißem Tee und Essen aus der Krankenhausküche.
Navigationsfehler
Für die Havarie wurde gestern ein Navigationsfehler verantwortlich gemacht. Ob tatsächlich ein Ruderschaden vorliegt, wie es zunächst geheißen hatte, wird noch geprüft. Fest steht bisher nur, dass sich die beiden Schiffe im Linksverkehr begegneten. Üblich ist der Rechtsverkehr. Wenn sich beide Schiffsführer jedoch auf die Linksbegegnung einigen, und dies - wie geschehen - auch mit der blauen Flagge anzeigen, ist dies gestattet.
Die Auswirkungen des Schiffsunglücks bekamen gestern auch die Schiffe zu spüren, die Wertheim passieren wollten: Die Mainschifffahrt war ab etwa 10 Uhr blockiert und wurde erst um 16 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit einschiffig wieder freigegeben.
Die Bergungsarbeiten an der 1891 gebauten »Marinus« dauerten gestern bei Dunkelheit noch an. Die Feuerwehr sorgte mit Lichtgiraffen für die Ausleuchtung der Unfallstelle. Um die Arbeiten zu beschleunigen, wurde ein zusätzlicher Schwimmbagger angefordert. Ein Taucher sollte nach Informationen vom Abend das Leck untersuchen. Erst dann sollte entschieden werden, ob ein Hebeschiff eingesetzt wird oder der Rumpf des Schiffes zerschnitten werden muss.
Wertheimer Zeitung 20.2.1987